Traditionelles „Gänsereiten“ und Erntedankfest – und wie es endete

(entnommen aus dem Festbuch zum 50. Schützenfest 1998)

 

Seit ihrem Bestehen ist die St. Sebastianus-Schützenbruderschaft Helden für die Organisation und Ausrichtung des traditionellen Erntedankfestes mit „Gänsereiten“ und „Hahneköppen“ zuständig.

 

Bereits im Jahre 1921 begegnet uns das „Gänsereiten“ im Heldener Land auf dem Jäckelchen, wo sich reitsportbegeisterte Bauernsöhne in einer lockeren Verbindungen zusammentraten, um dieser Art von „Geschicklichkeitsreiten“ zu huldigen. Auf allen Bauernhöfen des Landes waren Arbeitspferde anzutreffen, die sich in Art und Charakter auch für diesen Freizeit-Reitsport eigneten.

 

Kurze Beschreibung des Gänsereit-Reglements:

 

Ein Gänse-Galgen wurde errichtet, 5 m breit und 4,5 m hoch. Am oberen Querbalken wurde eine Rolle befestigt, über die ein dickes Hanfseil gelegt wurde. Am Ende des Hanfseiles befand sich ein Eimer ohne Boden, aus dem dann die tote Gans ihren Kopf und Hals zeigte. Dieser Eimer mit der toten Gans wurde in der Höhe des Reiterkopfes arretiert und bei evtl. abweichenden Reitermaßen auch in der Höhe verändert. Zwingende Regel war es, dass der Reiter mit einem ungesattelten Pferd im starken Galopp der toten Gans mit der Hand den Kopf abreißen musste. Wer sich nicht an diese Regel hielt, z.B. mit beiden Händen zugriff bzw. das Ganze versuchte im Trabe zu machen um noch griffsicherer zu sein, wurde disqualifiziert. Zwei Peitschenführer versuchten den Schwung des Pferdes mit zu regulieren. Übrigens war es falsch zu glauben, wer den Zugriff in Ruhe anbringen konnte, hätte größere Chancen auf Erfolg.

Dass es hier zu amüsanten Bildern kam, wird sich der Leser dieser Zeilen vorstellen können. Viele junge Burschen, des Reitens völlig unkundig, nur mit Mut, Abenteuerlust und Beutedrang ausgestattet, versuchten ihr Glück, stürzten vom Pferd oder verfehlten ihr Ziel völlig, da die „Steuerung“ beim Pferd versagte. Entsprechend waren die Lachsalven bei den immer zahlreichen Zuschauern.

 

Von 1949 – 1953 liefen unter der Regie der neuen und jungen Schützenbruderschaft das Schützenfest, Erntedankfest mit Gänsereiten am letzten Sonntag im September auf der Festwiese in der Ortsmitte zu Helden kombiniert.

 

Ab 1954 wurde das Schützenfest am 3. Wochenende im Juli gefeiert. Erntedankfest mit Gänsereiten behielt sein traditionelles Datum am Sonntag vor Erntedank.

Die ebenfalls in den Endvierziger Jahren gegründete Kath. Landjugend (KLJB) gestaltete einen wunderschönen und farbenprächtigen, mit vielen aktuellen Motiven ausgestatteten Erntedankfestzug, der bereits viele Besucher nach Helden lockte, die dort die Straßenränder dicht gedrängt säumten und sich dann auf der Festwiese einfanden, wo bis zu 3.000 an der Zahl der Geschehnisse harrten.

 

Wir Schützenbrüder als gesamtverantwortliche Veranstalter lernten sehr schnell auch die geschäftlichen Möglichkeiten, die uns dieser Massentourismus eröffnete, kennen. Zumal wir ja die harte DM für unser gut anlaufendes Vereinsleben und die Bewältigung seiner Aufgaben (siehe Schützenhallenbau) gut gebrauchen konnten. Entsprechend suchten wir unter Zuhilfenahme des benachbarten Reitervereins Schwartmecke das Reitsportangebot über das Gänsereiten hinaus, noch attraktiver zu gestalten, indem wir ein kleines, aber komplettes Reitturnier mit Wertung in das Festprogramm einbauten.

 

Es gelang uns mit Hilfe des Reitervereins Schwartmecke – übrigens auch dies war ein echter Freundschaftsdienst, der unentgeltlich geleistet wurde, als „Hermken“ Gabriel und „Sepp’l“ Platte bei den Schwartmeckern vorstellig wurden – das Rahmenprogramm des Gänsereitens attraktiv und stabil zu halten, bis im Jahre 1970 der eigene Repetaler Reiterverein diesen Bereich der Festgestaltung komplett in die eigenen Hände genommen hat. Zum Vortrag kamen, Dressuraufgaben, Schaubilder, zwei Jagdspringen und auch ein Jagdrennen mit Finale.

Trotz aller Bemühungen, die zentrale Mitte unseres Programms war das „Gänsereiten“ und „Hahneköppen“, welches uns die Zuschauermassen garantierte und damit auch die Einnahmen sicherte.

 

Traditioneller Einkäufer unserer Gänse – meistens waren es fünf Stück – war unser Heldener Original Friedrich Zeppenfeld, genannt „Jostes Fitti“. Er war ein sehr beliebter Viehhändler, der sich in allen Ställen auskannte und auch um gute Gänse Bescheid wusste.

 

Als er wieder einmal auf einem Hof im Westen des Kreises nach Gänsen für unser „Gänsereiten“ fragte, wurde ihm von der Bäuerin barsch mitgeteilt: „Op unsen Geusen wert nit rien!!!“ (auf unseren Gänsen wird nicht geritten) Und Friedrich musste unverrichteter Dinge von dannen ziehen.

 

Unsere „Gänsewiese“ war der noch heute vorhandene Bolzplatz, ein schöner satter Rasen, auf dem die Jugend Sport betreibt. Dieser Rasen wurde bei zu großer Nässe beim „Gänsereiten“ stark beschädigt und bei zu schlechtem Wetter musste das „Gänsereiten“ mit dem Rahmenprogramm ausfallen. Wir versammelten uns dann zu einem Spätschoppen in unserer Schützenhalle, wo dann ersatzweise die Gänse verlost wurden.

 

In den Endachtziger Jahren wurden die Gesetze zum Schutze der Natur und auch der Tiere erheblich verschärft und die neue Vorschrift lautete: „Derartige Tiere zur Volksbelustigung zu töten ist unter Androhung von Strafe verboten“ - § 17 des neuen Tierschutzgesetzes.

Der Vereinsvorstand war zunächst schockiert. Das Suchen nach neuen Wegen, diese traditionsreiche Veranstaltung zu retten, sie evtl. mit Gänseatrappen oder anderen Geschicklichkeitsreiten (Ringreiten usw.) fortsetzen zu können, endeten in der nicht unumstrittenen Beschlussfassung, die Veranstaltung aufzugeben. Die ganze Tragweite dieses Vorstandsbeschlusses wird dadurch dokumentiert, dass wir allen Mitgliedern unserer Schützenbruderschaft mit Schreiben vom 20. August 1990 die Gründe für unsere Entscheidung mitgeteilt haben.

 

Wir Schützen bedauern es sehr, dass dieses so erfolgreiche und gut angenommene Fest in unserem Heldener Veranstaltungskalender fehlt. Andererseits müssen auch wir zugeben, dass diese Art von Volksbelustigung und Unterhaltung, wenn auch wie hier mit toten Tieren geschehen, nicht mehr so richtig in die heutige Zeit hineinpasst, zumal es zu allen Zeiten kritische Geister gab, die sich mit diesem „Kopfabreißen“ nie anfreunden konnten. Inzwischen ist auch anderenorts dieser Sport dem Protest der fanatischen Tierschützer erlegen und wir werden das „Gänsereiten“ und „Hahnenköppen“ zu den Akten der Vergangenheit legen müssen.

 

Danken möchten wir Schützen allen, die mit großem Engagement die aufwendigen Festvorbereitungen auf sich genommen haben. Vor allem verdient die Heldener Landjugend ein Sonderlob für die vielen hochprämierten Erntewagen, die sie in den rund 40 Festzügen gestaltet hat.